ROGERS – Interview am 05.04.2019
ROGERS – Interview am 05.04.2019 Im Rahmen der Tour zum neuen Album „Mittelfinger Für Immer“ (Lest dazu auch den
ROGERS – Interview am 05.04.2019
Im Rahmen der Tour zum neuen Album „Mittelfinger Für Immer“ (Lest dazu auch den Konzertbericht und seht Euch die Fotos in der Galerie an!) hatte ich am 05.04.2019 in Hamburg im Gruenspan vor dem Konzert die Gelegenheit, mit den Herren Chri, Nico und Artur ausführlich zu sprechen. Mit ihrem neuen Album haben die ROGERS erneut ein ebenso mitreißendes wie melancholisches Ausrufezeichen im weiten Feld zwischen deutschem Punkrock und fettem Rock gesetzt. Die drei jungen Herren erwiesen sich dabei nicht nur als jederzeit gut gelaunte Mitmenschen, sondern auch als reflektierte, intelligente und jederzeit sympathische, bodenständige und interessierte Zeitgenossen. Im Gespräch äußerten sie sich ebenso offen wie tiefgründig. Aber lest am besten selbst:
Hallo und vielen Dank, dass Ihr für ein Interview bereit steht. Und vor allem herzlichen Glückwunsch zu Eurem großartigen neuen Album „Mittelfinger Für Immer“. Dazu komme ich später noch. Meine erste Frage an Euch: Wie geht es Euch, wie fühlt Ihr Euch damit, jetzt wieder auf Tour zu sein? Wie läuft es bis jetzt, heute ist ja erst der zweite Termin nach der Warm-up-Show, seid Ihr schon wieder voll im Tourmodus – oder dauert das noch ein bisschen?
Chri:
Also bei mir persönlich ist es so: Ich komme da sehr gut rein, aber es dauert tatsächlich noch ein bisschen. Das bisherige Jahr war einfach etwas stressig mit der Albumproduktion, das alles auch zu Ende zu bringen. Und dann hatten wir da auch schon Termine, und dann die Tourvorbereitungen und all diese Sachen. Ich für meinen Teil war dann vor der Tour auch noch mal längere Zeit unterwegs im Job und hatte dadurch nicht so viel Zeit, um mich einzufinden. Aber ich komme gut rein, und ich denke, spätestens morgen, übermorgen ist man dann komplett im Touralltag drin. Und ja, wir freuen uns total, denn so viel Zuspruch hatten wir bis jetzt noch nie, wenn wir live unterwegs waren. Heute Hamburg, mit 900 Leuten ausverkauft, so viel ich gehört habe, das ist der Wahnsinn.
Wie sehr ist eine Tour Freude und Spaß – und wie sehr auch Stress, Nerverei und Geduldsprobe?
Chri:
Geduldsprobe ist es in allererster Linie dann, wenn man diese Leerphasen hat, wenn man morgens ankommt, aufbaut und dann seinen Soundcheck gemacht hat. Dann hat man bis zum Abend Freizeit, und das kann durchaus auch mal langweilig werden. Und das finde ich tatsächlich immer am belastendsten am ganzen Touralltag, wenn man gerade runtergefahren ist und dann wieder auf der Bühne alles gibt. Aber ansonsten ist alles entspannt. Frag mich in einer Woch nochmal… (Allgemeines Gelächter.)
Nico:
Ich würde auch sagen, jetzt, wo das alles frisch ist, da geht das alles so. Und wenn sich das alles eingespielt hat, dann hat man solche Rushphasen, und man versucht am Ende auf jeden Fall, so lange wie möglich zu schlafen, weil man auf Tour immer zu wenig schläft. Und man versucht dann immer so lange zu schlafen, bis es ans Ausladen geht, denn dann muss innerhalb von zwei, drei Stunden alles gemacht werden. Und jeder will immer irgendwas, und man selbst will natürlich alles hinkriegen. Und dann passiert plötzlich erst einmal gar nichts mehr, fünf Stunden lang. Und dann musst Du 90 Miunten alles geben, da passiert alles auf einmal. Das ist wirklich krass.
Okay. Was sind die wichtigsten Dinge, die Ihr auf der Tour dabei habt – und was sind die ungewöhnlichsten Dinge?
Chri:
Das ungewöhnlichte Ding, das ich bei dieser Tour dabei habe, das ist eine Nasendusche (Allgemeines Gelächter.). Ja, wenn die Nase mal wieder verstopft ist, da muss man nicht soviel Nase putzen und wird nicht kränker als vorher. Und was ich immer dabei haben muss, das ist unbedingt ein Schweißband. Wenn ich kein Schweißband dabei habe, dann kann ich keine Gitarre spielen, dann bin ich verloren.
Nico:
Das wichtigste für mich ist mein eigenes Kissen. Und das hätte ich sogar fast vergessen. Und das ungewöhnlichste … (überlegt länger) … ich habe sehr viel Wert darauf gelegt, ein Mikrofasertuch einzustecken, zum Abwischen von Dingen (Wieder lachen wir alle.) Also sei es meine Koje, wenn ich nachts geschwitzt habe und dann die Wand nass ist, oder meine Gitarre, wenn sie aussieht wie Sch…, wenn ich am Tag davor geschwitzt habe wie ein Schwein.
Chri:
Beides hat mit Schweiß zu tun… (Er wird unterbrochen von großem Gelächter.)
Artur:
Irgendwann wird einfach alles so normal. Bei mir ist es vielleicht mein Festplatten-Supersystem zum Musikvideos schneiden, das ist vielleicht tatsächlich ungewöhnlich. Aber so etwas wirklich freakmäßiges habe ich nicht dabei.
Chri:
Die Nasendusche! (Und wieder lachen alle.)
Nico:
Der Tom, unser Schlagzeuger, der hat so ein Febreze Geruchsspray dabei für seine Bühnenklamotten, denn die fangen nämlich auch irgendwann mal an zu riechen, wenn man keine Waschmaschine zur Verfügung hat…
Chri:
Irgendwann heißt nach den ersten Tagen! (Alles weitere geht in allgemeinem Gelächter unter.)
Gut. Wie sehr hat sich für Euch über die Jahre das Touren mit dem wachsenden Erfolg verändert? Ist es viel angenehmer – oder ist es auch viel mehr Druck?
Chri:
Ich habe witzigerweise eben erst mit den Jungens darüber gesprochen. Auf der einen Seite ist es natürlich mehr Druck. Man fühlt sich verpflichtet, mehr Leistung zu bringen als wenn man Vorband ist. Oder besser: Es ist eine andere Art der Leistung. Wenn wir als Vorband gespielt haben, da war da dieser innere Druck, jetzt spielen wir mal alles an die Wand, na ja, zu versuchen, die Hauptband mal so ein bisschen anzukratzen, um ein paar Fans mitzunehmen. Und jetzt hat man den Druck der ganzen Sache: der Nightliner, der da draußen steht, der Bühnenaufbau, die ganzen Leute, Matthias (gemeint ist der superfreundliche Tourmanager, H.), Licht und Crew, die sich da solche Mühe geben. Und der ganzen Sache möchte man, möchte ich gerecht werden, das ist der Druck, den ich mir selbst mache. Und dann ist es wiederum auch einfacher, weil man die Gewissheit hat, dass die Leute, die jetzt vor der Bühne stehen, die haben genau Bock auf Dich, die geben alles für die Show und supporten uns. Und die geben mir dann wieder Kraft auf der Bühne, das durchzuziehen und besser zu machen. Das spendet einem enorm viel Power, das muss ich sagen.
Nico: Das kann ich einfach so unterschreiben.
Kennt Ihr denn dieses emotionale Loch, in das viele Musiker fallen, wenn sie von der Tour kommen. Auf der Tour, voll auf dem Olymp, der Held, geistig und körperlich immer voll am Anschlag, und dann zu Hause erst mal wieder Alltag, man muss wieder der ganz normale Mensch sein. Kennt Ihr das?
Chri:
Wir haben da Gott sei Dank Leute zu Hause, die uns relativ schnell wieder runterholen. Mein bestes Beispiel ist das: Nach der Bremenshow letztes Jahr mit den Toten Hosen, was bis dato unsere größte Show war, die wir jemals gespielt haben, da kommst Du nach Hause und sagst: Hey Schatz, gestern standen da 40.000 Leute vor der Bühne. Und da schaut dich deine Freundin an und sagt: Das ist ja toll, aber es muss noch Staub gesaugt werden. Da haben wir eben zum Glück viele Leute, die uns da direkt wieder auf den Boden holen, was ja auch gut ist. Und vieles realisiert man ja auch erst viel später. Da hat man gar nicht den Kopf, das in dem Moment wahrzunehmen und auch auszukosten.
Nico:
Ich kenne diese Situation von zu Hause nicht. Das Loch, das ich nach der Tour habe, das ist das Gefühl, dass jetzt meine 12 besten Freunde nicht mehr um mich herum sind. Und ansonsten finde ich, bis auf so eine Show wie bei den Toten Hosen vor 40.000 Leuten, je mehr man dafür tut und dann selbst verantwortlich ist, was man als Feedback bekommt, desto entspannter geht man damit um. Und je mehr man nichts damit zu tun hat, je mehr das kommt und man merkt, man ist plötzlich berühmt, so wie ein One-Hit-Wonder, desto ungreifbarer wird es dann. Aber wenn man 10, 12 Jahre langsam und stetig wächst, dann entwickelt sich auch eine Bodenständigkeit, so dass wir keinen Höhenflug bekommen.
Artur:
Und es gibt ja auch Sachen, die nicht toll sind am Touren. Dass man nicht gut schlafen kann zum Beispiel. Das wirkt diesem Loch wieder entgegen, wenn man zu Hause ist und denkt, oh ja, ich kann schlafen, in meinem Bett, und keiner schnarcht. Das ist jetzt vielleicht ein blödes Beispiel, aber es schnarchen viele im Bus (Und wieder gibt es herrliches Lachen.). Das ist halt wie ein U-Boot. Es gibt Leute, die kommen damit klar. Und es gibt Leute, die kommen damit gar nicht klar. Aber so oder so: Es ist durch diese ständige Bewegung wie eine Jugendherberge, nur in einem geschlossenen Raum. Wenn einer nachts auf Toilette muss, dann wachen vier auf, egal ob der das will oder nicht. Dadurch schläft man eben einfach unruhig.
Nico:
Das alles sorgt am Ende dann aber auch wieder dafür, dass man das Zuhause auch wieder zu schätzen weiß. Und ich glaube, je öfter man diesen Switch hat, Tour – Alltag – Tour – Alltag, umso leichter wird es für einen auch, sich da wieder einzufinden. Ich habe für mich eine gute Lösung gefunden. Ich fahre, wenn wir eine lange Tour hatten, danach gerne nochmal in Urlaub und mache den kompletten Cut. Einmal ohne Alltag weg, noch einmal etwas ganz anderes, da weiß mein Gehirn dann gar nicht mehr, was abgeht. Und danach ist dann Alltag wieder das Allergeilste.
Gut. Zum neuen Album. Das Album ist für mich und für viele Leute erst seit kurzem draußen. Für Euch ist es dagegen schon fast alt. Wenn man zurückblickt, wann die ersten Ideen kommen und wie sich das dann entwickelt, dann ist es für Euch ja nicht mehr wirklich neu. Wie geht es Euch jetzt mit der Musik? Hat sich für Euch in dem ganzen Prozess schon etwas verändert? Seht Ihr die Lieder und die ganze Scheibe jetzt schon irgendwie anders als zu dem Zeitpunkt, wo sie als Baby bei Euch entstanden ist?
Chri:
Nein. Als Scheibe sehe ich das tatsächlich so nicht. Aber was natürlich die Tour als komplett neues Ergebnis gebracht hat, das ist einfach, wie das alles live ankommt. Wie lässt sich das live spielen und wie wird es von den Leuten aufgenommen. Feiern die mit und haben die Bock auf die Lieder. Und das war auf jeden Fall eine geile Erfahrung, denn es kommt sehr geil an (Wieder lautes Lachen aller drei.).
Dafür habt Ihr ja aber auch viel getan, dass es geil ankommt.
Nico:
Ja, aber wir hätten das auch getan, wenn keiner kommen würde. Und jetzt, wo da viele kommen, da denkt man sich: Geil, ich habe das wenigstens nicht nur für mich gemacht, für meine Freunde und für meine Mama, sondern ich habe das hier in Hamburg für 800 bis 900 Leute gemacht. Und das ist einfach krass. Ich glaube, es verändert sich nichts in der Sichtweise auf die Platte, sondern man sieht die ganzen Sachen in einem anderen Licht, das man vorher gar nicht sehen konnte. Du stellst Dir vor, da singen die Leute mit und da klatschen sie bestimmt, weil sie Bock haben und es sich anbietet. Und dann spielst du es live und merkst: Krass, was für eine Energie da auf einmal freigesetzt wird.
Ich finde, Euch ist eine wirklich gute Mischung gelungen aus klaren, eindeutigen Botschaften, auch politisch unmissverständlich, auch mal ironisch oder zynisch. Und auf der anderen Seite dann melancholische, berührende Geschichten. Und das Faszinierende ist, dass jede Botschaft auch die richtige Musik bekommt, also die politischen Botschaften harten Punkrock und die melancholischen Geschichten eher rockig, mit schönen Gitarrenlinien und sehr berührend. Und mich interessiert: Wie kriegt Ihr es hin, dass jede Botschaft genau die richtige Musik bekommt – oder andersrum die Musik auch immer den richtigen Inhalt?
Artur:
Ich glaube durch einen großen Pool. Da sind all die anderen Musiker, die um einen herum sind. Man hat ja viele Einflüsse kreativer Art. Man unterhält sich, da sind auch Leute, die mitgeschrieben haben bei ein paar Songs.
Nico:
Und dazu kommt, dass wir jeden Song immer noch 500 Mal umwälzen, bevor er auf der Platte ist. Im Grunde kann man sagen, ein Jahr, bevor das Album rauskommt, hat sich jeder von uns schon einmal gedacht: So ist das auf jeden Fall fertig. Dann sind wir ins Studio gegangen. Und dann passieren nochmal 100 Dinge. Und teilweise hörst du dir den Song am Ende an und denkst: Krass. Es gab bei jeder Platte von uns mindestens ein bis zwei Songs, bei denen der fertige Song fast nichts mehr mit der Demoversion zu tun hat, weil man sich im Studio in einen Film reingefahren hat und dachte, jetzt macht man noch dies und das und schmeißt das alles nochmal um. Da passiert einfach noch so unfassbar viel, dass man sich durch die Zeit, die vergeht, jetzt einfach nochmal mehr auf die Texte einlassen kann. Denn nur, weil man da etwas beschrieben hat, heißt das ja nicht, dass man schon alle Facetten, die es da zu fühlen gibt, auch schon gefühlt hat. Es passiert auch, dass wir Songs schreiben, und dann gibt es dazu eine Kritik, und wir lesen das und denken: Oh, jemand hat den Text völlig anders verstanden als wir das gedacht haben. Aber dieses Risiko wird minimiert durch den Zeitaufwand und das ständige Hören im Studio. Aber am Ende kannst du das nicht mehr hören. Am Ende sind wir, das ist vielleicht ein blödes Wort, wenn es um sowas geht wie Kunst oder Musik, aber da sind wir einfach betriebsblind. Dadurch kommt das dann so, dass jeder Song wächst. Vielleicht war der politsche Song am Anfang schon hart, und wird dann immer härter, weil man sich reinsteigert und denkt: Das pisst mich so an, das muss raus. Aber mit einer Grundintention geht man schon immer rein.
Chri:
Richtig. Das ist bei all unseren Songs so. Am Anfang steht immer auch, dass es einfach echt ist. Klar, das sind nicht immer Geschichten, die wir jetzt selber erlebt haben, die wir aber genau so erzählen, wie wir es fühlen. Das sind nicht einfach nur irgendwelche Geschichten, die wir uns zusammendenken.
Dazu komme ich gleich noch. Wie wichtig ist Euch das Bedürfnis, politisch klar und deutlich aufzutreten? Wie sehr seht Ihr das als Aufgabe, als Notwendigkeit, Euch so klar zu positionieren, wie Ihr das macht?
Chri:
Ich finde das sehr wichtig.
Nico:
Es ist genau so wie auf dem Album. Vom prozentualen Anteil her ist es genau so wie auf dem Album. Es geht ja auch um eine wichtige Aussage. Es geht ja darum, wie wichtig es uns allgemein ist, politisch zu sein. Ich glaube, wir haben auf dem Album eine gute Mischung. Das Verhältnis, wie wir uns auf dem Album auskotzen, ist für mich genau das richtige. Zu viel davon, das merkt man auch selber. Wir waren alle mal jünger und man ist auch immer mal ein bisschen rebellischer in manchen Phasen. Aber zu rebellische und negativ beeinflusste Phasen, in denen man sich ziemlich viel mit Schlechtem auseinandersetzt, die ziehen einen selber so runter. Vielleicht nicht so, dass man handlungsunfähig wird. Aber du blockierst dich damit selber. Du musst schon eher danach schauen, wo man was besser machen kann – und nicht nur Dinge berichten, die Scheiße sind. Es ist wichtig, eine Meinung zu haben, aber eher pro etwas sein als contra alles.
Chri:
Aber es ist trotzdem wichtig, mit einer gefestigten Meinung auf die Bühne zu gehen. Denn wenn man da oben steht und irgendetwas sagt, da hat man schon in einer gewissen Weise eineinhalb Stunden Kontrolle über alle Leute, die da unten stehen. Und da muss man in dem Bewusstsein handeln, was man da erzählt, was man macht, was man vorlebt. Und klar, gerade in Zeiten, wo der Rechtsruck in Europa und in der Welt immer stärker wird, wo sich jeder irgendwie abschotten möchte, da ist es von unserer Seite wichtig, dagegen zu halten. Aber eben mit Zusammenhalt, mit einem positiven Gefühl dagegen zu arbeiten. Viel mehr dafür sein. Für mehr Zusammenhalt. Für eine Welt.
Jetzt frage ich mal etwas provokativ: Seht Ihr selber eine Diskrepanz, ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn man in „Ganz Nach Oben“ Kapitalismus, Geld verdienen, Erfolgshunger kritisch beobachtet, aber Ihr ja irgendwie auch selbst mittendrin in so einer Maschine steckt? Es geht ja um Alben machen, es geht um verkaufen, es geht um Charterfolge für Euch? Seht Ihr da selber eine Diskrepanz, im Text dagegen zu sein, aber ein Stück weit mittendrin zu sein in einer Maschine? Ihr seid vertraglich verpflichtet, Ihr müsst liefern, und da geht es um Geld.
Chri:
Im Endeffekt geht es ja immer um Geld. Die Frage ist, was du damit machst. Das ist doch am Ende entscheidend. Also wir schwimmen jetzt alle nicht in Geld, dass wir wer weiß was damit anstellen könnten – eher im Gegenteil (Alle lachen.).
Nico:
Wir sind eher froh, wenn am Ende der Tour keine rote Zahlen stehen…
Chri:
Wenn da eine glatte Null steht. Aber es ist eben ziemlich wichtig, was du mit deinem Geld machst. Wahrscheinlich hätte mein dreizehnjähriges Ich meinem jetzigen Ich schon den fiesesten Kapitalismus vorgeworfen, aber irgendwann kommt man auch an den Punkt und denkt: Klar mache ich das gerne, das ist jetzt auch irgendwie mein Job. Aber weil man so viel Zeit investiert und gar nicht mehr die Zeit hat, um normal arbeiten zu gehen, muss die Band das irgendwann ausfüllen. Wenn man es denn weitermachen möchte, denn das ist ja immer dieser Zwiespalt als Musiker. Du hast manchmal deinen Beruf und deine Berufung. Und das beides unter einen Hut zu bekommen, das ist ziemlich schwierig.
Artur:
Kapitalismus ist auch ein sehr fieses Wort. Kapitalismus bezeichnet ja auch das pure Streben nach Kapital. Und es ist ja immer derselbe Vergleich: Geld ist Geld. Wir können jetzt nicht auf einmal mit Schweinen handeln. Irgendeinen Tauschhandel muss es geben – und irgendwer wird immer nicht hungern wollen. Das wird immer bleiben. Und uns geht es ja bei diesem Kapitalismus in Anführungszeichen so: Selbst wenn wir mit der Tour wahnsinnig viel Plus machen würden, geht das auf die Familie und die Zukunft unserer Crew. Wir sorgen dafür, dass Leute einen Monat mit uns Zeit verbringen und eben nicht am Ende nach Hause kommen und Hunger haben. Und das darf man ja nicht vergessen. Kapitalismus ist für mich ein ganz schwieriger Begriff.
Chri:
Der ist an der Stelle schon unangebracht…
Nico:
Ich finde es aber gut, dass du das fragst. Ich finde es sehr wichtig, darüber zu reden, weil auch wir in den letzten Tagen oft darüber gesprochen haben. Du siehst ja auch, da draußen steht so ein Bus vor der Tür, der sieht …
… geil aus, der sieht richtig geil, ich habe vorhin schon mit Matthias darüber gesprochen …
Nico:
… richtig geil aus, genau. Ich habe mich aber tatsächlich schon mit Leuten unterhalten, die mir gesagt haben: So ein Bus hat jetzt aber nichts mehr mit Punk zu tun. Und ich denke: Was willst du mir denn erzählen, was Punk ist. Ich kann das ganz kurz runterbrechen: Wenn wir mit 12 Leuten jede Nacht in einem Hotel schlafen und tagsüber durch die Gegend fahren, mit dem ganzen Kram, den wir mithaben, dann brauchst du dafür drei Sprinter und einen LKW. Und dann ist das nicht mehr Punk, denn dann können wir uns das nicht mehr leisten. Dann kostet das nämlich viel mehr als dieser Bus. Das ist immer schwierig. Und das ist auch schwierig für Leute von außen, die sowas halt nicht kennen, sowas langweiliges, so was reelles wie die Zahlen. Aber wir müssen das alles bezahlen. Für die Leute sieht das vielleicht nicht mehr so aus wie Punk, und dann sagt man eben auch: Das ist jetzt kein Punk mehr, das ist keine Bescheidenheit mehr, das ist schon kapitalistisch. Wir müssen das aber alles bezahlen. Wir haben einen Tonmann mit, der sich den A… aufreißt dafür, dass die Leute nach dem Konzert nach Hause gehen und sagen: Das klang geil, das klang geiler als auf Platte, oder: Das war ein geiles Konzert. Und das steht und fällt nicht nur mit den vier Typen, die auf der Bühne stehen und das Beste an ihren Instrumenten geben, sondern auch mit dem, was dahinter passiert. Mit unserem Lichtmann, der dazu eine Lichtshow baut, mit den Leuten aus dem Laden, die uns hier ab 11 Uhr morgens Brötchen bringen, damit wir uns darauf konzentrieren können, unseren Sound zu checken und das alles. Oder mit Matthias, unserem Tourmanager, der alles andere koordiniert, den jeder die ganze Zeit anrufen kann, zu dem jeder von uns auch hingehen kann mit allen möglichen Fragen, wo ich meine Wäsche waschen kann, wo es dafür den nächsten Waschsalon gibt, mit solchen Sachen eben. Das ist einfach ein riesiger Haufen, der hinter der ganzen Band steckt, den man nicht überblickt. Und dazu gehören auch solche Sachen wie Plattenfirmen und Chartsverkäufe. Und Chri hat es eben am besten gesagt: Du machst das gerne, du machst das mit voller Hingabe. Und das Problem ist, du kannst es nicht gerne und mit voller Hingabe machen, wenn du dann von einer Einmonats-Tour nach Hause kommst und gefeuert worden bist, weil du dir soviel nirgendwo frei nehmen kannst und dann erstmal wieder zwei Jahre arbeiten musst, damit du aus deinem Schuldenloch wieder rauskommst. Und dann wieder ein Album machen kannst, wieder auf Tour gehen kannst, wieder deinen Job verlieren kannst. Das funktioniert nicht.
Chri:
Ich kenne das gut, ich habe das oft gehabt (Alle lachen.).
Nico:
Genau. Das hat halt jeder von uns in den letzten Jahren oft gehabt. Und deshalb muss bei uns ein Bestreben danach sein, das halt möglich zu machen. Wir brauchen alle keinen Ferrari. Wir wollen alle noch nicht einmal ein Auto haben. Aber wir müssen schauen, dass wir das alles weiter machen können und dafür nicht privat und neben der Tour völlig kaputt sind. Denn sonst geht das nicht mehr.
Ihr habt viele positive Songs, Gute-Laune-Songs. Aber ich finde, gerade auf der neuen Scheibe sind viele melancholische, traurige Geschichten, die sind wunderschön und gefallen mir sehr gut. Und ich frage mich da natürlich: Wie melancholisch und traurig seid Ihr? Wie sehr lebt Ihr in der Vergangenheit? Ich denke da an „Wo Immer Du Gerade Bist“, „Wo Gehör Ich Hin“, „Weit Weg“, „Ich Bleibe Hier“, die sind sehr berührend und ich denke dann: Wer ist da jetzt nicht mehr in der Wohnung? Ist das eine echte Geschichte, wen habt Ihr da verloren? Wie sehr sind da auch Trauer, Angst, Verlust, die aus Euch kommen?
Chri:
Ich glaube, das war tatsächlich unterbewusst viel Abschluss mit meiner Jugend. Das Gefühl habe ich jedenfalls, wenn ich mir das Gesamtwerk anhöre. Vieles geht einfach darauf zurück, viele Geschichten, die man damals erlebt hat. Hm, gerade wenn man zur Schule gegangen ist, da hat man immer viele Storys gehabt, und dann am Wochenende viele Partys, da ist dann dem einen oder anderen was passiert. Freunde von uns und deren Freunde, da ist auch mal einer tödlich verunglückt. Das sind alles solche Geschichten, die bleiben immer noch hängen, und vielleicht hat man die nun damit auch ein bisschen verarbeitet. Im Endeffekt sind wir alle in der Midlife-Crisis gelandet, das kann man sagen (Mal wieder allgemeines Gelächter.). In der ersten Midlife-Crisis…
Nico:
Ich glaube, wir sind einfach über die letzten Jahre sicherer darin geworden, uns mitzuteilen. Wir sind sicherer geworden in dem, was wir machen, weil da einfach Leute sind, die uns geil finden, die uns sagen, hey, macht das weiter. Und natürlich ist für jeden Künstler seine Kunst auch ein Medium der Verarbeitung von gewissen Sachen, ob das jetzt Freude ist oder Trauer. Und so schwingt da auch Melancholie mit. Und ich glaube, wir haben uns bei den letzten beiden Platten, und bei dieser wahrscheinlich noch etwas mehr, getraut, auch mal solche Themen anzugehen. Und man darf halt auch nie vergessen, so einen Song wie „Wo Immer Du Gerade Bist“ gibt es – jetzt unter uns, also unter allen Leuten, die das später lesen werden (lacht) – schon seit vier Jahren, der hat aber auf das letzte Album noch nicht gepasst. Der war für uns noch nicht ausgereift genug. Deswegen haben wir gesagt: Komm, damit setzen wir uns noch so lange auseinander, bis dieses Stück so weit gekommen ist, dass wir der Meinung sind, das passt jetzt perfekt zu dem, was wir ausdrücken wollen. Und dann war es bei dem Album jetzt soweit. Und dann hörst du dir die Demoversion an und denkst: Ist das jetzt soweit, dass wir das alle unterschreiben können? Okay. Gut. Und dann kommt er eben auf das Album drauf. Ich würde sagen, es gibt jetzt einfach mehr davon, weil wir sicherer geworden sind in diesem Gefühl, uns ausdrücken zu können. Und wir müssen das nicht machen, aber wir können das für uns nutzen, wenn wir etwa nach dem Konzert Gespräche mit Leuten führen können, die dann sagen, das trifft den Nagel auf den Kopf. Die uns fragen, wie seid ihr darauf gekommen, können wir uns darüber mal unterhalten, denn das spiegelt gerade meine Situation wider. Und das ist total schön, solche Gespräche führen zu können. Aber vor vier Jahren hätte sich das wahrscheinlich keiner von uns zugetraut. Deswegen packt man solche Themen auch nicht auf der ersten oder zweiten Platte an, weil man einfach denkt: Soll ich mich jetzt dahinstellen und den Leuten etwas von meiner Trauer oder meinem Schmerz erzählen? Du sprichst darüber ja nicht, wenn du dir nicht sicher bist, dass das auch in Ordnung ist.
Chri:
Für mich war, seitdem ich bewusst Musik höre, ein melancholischer oder trauriger Song immer ehrlicher als ein Spaßsong. Ich kann dir dafür gar keine Begründung sagen, aber vielleicht sind wir deswegen da auch so ein bisschen reingeschippert, wir können das gut, wir können weinen (Und wieder lachen alle.).
Wo seht Ihr Euch in 10 Jahren? Und damit meine ich nicht nur die Band, die Musik, sondern auch die Persönlichkeit. Wo seht Ihr Euch, wie werdet Ihr Euch verändern, was habt Ihr für Ziele?
Artur:
Mein Lebensgeheimnis ist ja tatsächlich, dass ich maximal bis ins nächste Jahr denke. Jedenfalls solange wir in diesem Lebensmodus stecken, denn ansonsten gehst du unter. Wenn du in diesem Lebensmodus steckst und die nächsten zehn Jahre voraus planst, kannst du jetzt schon davon ausgehen, dass du dich in 90 Prozent der Fälle enttäuschst. Das ist so wenig kalkulierbar. Also plane ich grob bis ins nächste Jahr, aber eigentlich erst bis morgen. Man muss natürlich Dinge erledigen, aber sich irgendwo sehen, das nur im Heute oder Morgen.
Nico:
Das klingt vielleicht ein bisschen stumpf, aber wir leben tatsächlich ganz krass im Hier und Jetzt. Wir haben schon so viel mit der Band erlebt in den letzten 10, 11 Jahren, dass all die Pläne, die man gemacht hat, über den Haufen geworfen wurden. Man kann vielleicht ein paar Ideen haben. Man kann ruhig sagen: Ich möchte nächstes Jahr dann in den Urlaub gehen.
Und das sind die ersten Pläne, die dann scheitern.
Nico:
Eine schöne Idee, genau. Wenn wir Gespräche führen, dann fragt keiner von uns: Hör mal, wo willst du denn dein Haus in zehn Jahren gebaut haben. So was gibt es bei uns tatsächlich gar nicht. Dafür ist es gerade zu verrückt und aufregend.
Gut. Meine letzte Frage, und die stelle ich immer: Was ist für Dich, für Euch die beste Coverversion? Und weil ich unfair bin, fange ich immer an und sage: Marilyn Manson mit „Sweet Dreams“.
Chri:
Oh, jetzt hast du mich bekommen. Ich kenne wahrscheinlich noch nicht mal das Original. Ah, doch, das kenne ich.
Nico:
Für mich ist die beste Coverversion das Johnny-Cash-Cover „Hurt“ von Nine Inch Nails. Denn ich habe, bis es mir mein Musiklehrer gesagt hat, mein ganzes Leben gedacht, das wäre von Johnny Cash.
Gute Wahl!
Nico:
Ich schließe mich da mal an.
Artur:
Ich weiß gar nicht, ob ich in letzter Zeit gute Cover gehört habe. Aber das erste und einzige Cover, an das ich gerade denken muss, ist „Palmen aus Plastik“ von Callejon. Weil es das einzige Cover ist, was ich in letzter Zeit neu gehört habe. Und ansonsten schließe auch ich mich an. Einfach aufgrund des Mysteriums dahinter.
Okay. Last famous Words?!
Chri:
Vielen Dank.
Und es endet: natürlich in einem herzlichen Lachen von uns allen!
Ich kann nur jeden empfehlen, sich eines der folgenden Konzerte der laufenden Tour anzuschauen, denn wenn die ROGERS neben so ehrlichen wie lustigen und klare Positionen beziehenden Interviews eines können, dann: verdammt gute Musik machen, die begeistert und glücklich macht!
Euch weiterhin viel Erfolg, Glück, Kreativität und Durchhaltevermögen!
Hendrik