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Sehnsucht kannst du nur haben, wenn etwas unerfüllt bleibt – Achim Reichel im Gespräch

Was kann es schöneres geben, als sich an einem herrlichen, sonnendurchfluteten Tag auf den Weg nach Hamburg zu machen

Sehnsucht kannst du nur haben, wenn etwas unerfüllt bleibt – Achim Reichel im Gespräch

Was kann es schöneres geben, als sich an einem herrlichen, sonnendurchfluteten Tag auf den Weg nach Hamburg zu machen und einen Helden der eigenen Jugend zum persönlichen Interview zu treffen. Wenn dann noch von Anfang an das Gefühl dazu kommt, dass man gerne willkommen ist, eine Broschüre auf dem Tisch entdeckt, die man selbst entworfen hat, kann dabei nur ein wertvolles Gespräch zustande kommen. Ich hatte das große Vergnügen einen der wichtigsten und einflußreichsten deutschen Künstler kennenzulernen, dem man sein Alter zu keiner Sekunde anmerkt. Vital, lebensfroh und in Erzähllaune war es eines der schönsten Interviews, die ich jemals führen durfte. Aber lest selbst:

Bevor aber das eigentliche Interview starten konnte, tauschten wir uns erstmal über die derzeitige Situation am Musikmarkt aus und kamen zu gleichen Ansichten, die vielleicht auch ein wenig unserem Alter geschuldet sind.

 

Achim: … als die Idee zu einer neuen Best of kam, dachte ich mir, dass ich einen älteren Song nochmal neu aufnehmen sollte, ihn auf eine andere, gereiftere Art interpretiere und als eine Art Trailer ins Rennen schicke. Dann ging ich damit zu meiner Plattenfirma und sagte: „Hier, den Song schenke ich euch. Aber promotet das Album anständig.“ Für mich ist „Halt die Welt an (für immer glücklich – mehr geht nicht)“ eine radiokompatible Single. Als Antwort bekam ich dann zu hören, dass es das Medium Single ja heute gar nicht mehr geben würde und außerdem sei ich ja gar kein Single-Künstler. Bei den Rundfunkanstalten würde ich mittlerweile als Album-Künstler gehandelt. Ich entgegnete, dass es wohl Aufgabe der Plattenfirma sei, sich den Marktgegebenheiten anzupassen. Was früher Radio war, ist heute eben YouTube, Spotify und Co.

Metalglory: Na ja, in der heutigen Zeit sitzen bei den großen Plattenfirmen halt Strategen, die sich nur um Umsatzzahlen und Chartpositionen kümmern. Das eigentliche, die Liebe zur Musik, das Empfinden dieser und vor allem die Gefühle, bleiben dabei komplett auf der Strecke.

Achim: Ich habe mal gedacht, das würde langsam besser werden. Früher habe ich immer gemeckert, dass es so wenig deutschsprachige Musik im Radio gibt. Die gibt es ja heute wieder. Aber vielen dieser Künstler fehlt das Herz und die Musik klingt seelenlos. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich Musik anders empfinde und wahrnehme. Es ist manchmal auch einfach nicht mein Geschmack. Wobei mein Geschmack natürlich subjektiv ist und nicht mit dem eines 18-jährigen gleichzusetzen ist. Ich selbst habe mir ja auch immer den Luxus gegönnt mich nie wirklich festzulegen. Mal macht er Shantys, dann Balladen und dann springt er zum Rock oder macht mit Jungdichtern rum und auf einmal kommt er mit Volksliedern an – ist der denn wahnsinnig geworden? Ich bin dankbar für alles Erreichte in meinem Leben und freue mich auch heute noch vor vielen Menschen meine Musik vortragen zu dürfen.

MG: Kommen wir mal zu meinen Fragen. Als ich die Anfrage bekommen hatte Dich zu interviewen, war ich sofort begeistert. Aber irgendwann kam dann der Gedanke, dass es wohl kaum mehr Fragen gibt, die Du nicht bereits gestellt bekommen hast. Deshalb versuche ich mit meinen Fragen viel mehr Dich einem anderen Publikum nahe zu bringen, den Menschen Achim Reichel zu zeigen.

Achim: Ja, dann mal los.

 

MG: Du hast Deine Karriere bereits im zarten Alter von 16 Jahren begonnen und mit den Rattles ab 1963 Musikgeschichte geschrieben. Der erste große Hit war dann „Come On And Sing“.

Achim: Das war der erste, wenn man es denn so nennen darf, Song, den ich geschrieben habe. Er fiel mir quasi so nebenbei ein, irgendwo auf der Rücksitzbank im VW-Bus auf der Fahrt zu einem Gig, trällerte die Melodie vor mich hin, hätte aber niemals damit gerechnet, dass der Song, als er fertig war, ein Erfolg werden könnte. Er passte einfach in die Zeit und es war ja auch eine Aufbruchsstimmung, denn Rock & Roll war natürlich die Musik der Jugend. Frank Sinatra haben noch die Eltern und die Kinder gehört. Aber die Stones und Beatles waren da eine ganz andere Nummer.

MG: Sowohl Dein Vater als auch Dein Großvater sind zur See gefahren und es steckt ja auch in Deinem Blut. Was hat Dich damals dazu bewogen Deinem eigentlichen Wunsch den Rücken zu kehren? Was hat Dich an der Musik so fasziniert?

Achim: Das hat sich tatsächlich entwickelt. Mein Vater war Schiffsstewart und das wollte ich auch werden. Das habe ich zwar schon häufig erzählt, aber meine Mutter hatte immer zu mir gesagt: „Dein Vater hat die ganze Welt gesehen, hatte immer eine weiße Jacke an und die Taschen voller Trinkgeld.“ Das klang so toll, dass ich sagte, dass ich das auch will. Aber da war ich natürlich noch ein grüner Junge und war daneben Rock & Roll Fan. Damals konnte man sich die neuesten Scheiben noch nicht im nächsten Laden einfach abholen, sondern das war höchst kompliziert. Das lief vorrangig über den Importweg und damit über Mailorder aus Schweden oder den USA. Mein seefahrender Onkel hatte mir dann meine erste Blue-Jeans geschickt oder von Chuck Berry das Vinylalbum „One Dozen Berrys“. Das war damals alles so unbekümmert und so bin ich auch zu meiner ersten Gitarre gekommen. Oder nimm das Beispiel mit „Come On And Sing“. Wir waren im Studio und ich sagte zu unserem damaligen Produzenten Siggi Loch: „Du, ich habe da auch noch einen Song.“ Daraufhin antwortete er: „Ja, klingt doch gut. Den nehmen wir einfach noch mit auf.“ Was sich daraus entwickelt weiß man ja nie, in diesem Fall wurde es unser erster Hit. Ich habe mir dann oft die Frage gestellt, ob das alles nur Zufälle sein können und manchmal werde ich fast sowas wie schicksalsgläubig. „Wer hat dir denn so viel Glück in die Wiege gelegt?“ Ich war so ein Frühgeborener, der sich auf viele Dinge eingelassen hat und aber dann auch den Mut hatte sie auch zu bringen. Deshalb hat mich ja irgendwann ein Journalist als Vater der deutschen Rockmusik betitelt.

MG: Kehren wir mal wieder zurück zu den Anfangsjahren. Nach Deiner Bundeswehrzeit und dem Ausscheiden bei den Rattles, kam Wonderland. Das war eine völlig andere Musik, war progressiver und eine Entdeckungsreise.

Achim: Man fing so langsam an zu denken. Bei den Rattles waren wir noch selber Fans und bei Wonderland haben wir schon eine gewisse Ambition entwickelt.

MG: Ganz krass wurde es dann ja mit A.R. & Machines. Was heute als Looping etwas ganz selbstverständliches ist, war damals etwas komplett neues. War das auch eine Art Aufbruchstimmung oder das Ausloten musikalischer Grenzen?

Achim: Die musikalischen Grenzen waren mir damals völlig egal. Das Ausloten schon eher. Das hing aber auch damit zusammen, dass es damals immer hieß: „Wenn man nicht wissen würde, dass ihr aus Deutschland kommt, würde man echt denken… Aber die Echten sind ja die Anderen.“ Das war manchmal schon frustrierend und es gingen einem dann Sachen im Kopf rum, wie ‚Du bist im falschen Land geboren‘. Das war bei A.R. & Machines dann nicht mehr der Fall. Das war so eigenständig, so neu, dass es keine internationalen Vergleiche gab. Das war das erste Mal, dass niemand sagen konnte die Echten sind aber die und die. Das hat mir so viel Spaß gemacht und war mir auch völlig egal, ob das nun kommerziell erfolgreich ist oder nicht. Die Plattenfirma war zwar nicht wirklich begeistert, ich konnte mich aber trotzdem durchsetzen. Heute würde das keine Plattenfirma mehr veröffentlichen. Ich dachte ja auch, dass ich das Projekt so nebenbei mitlaufen lassen könnte. Wir fingen damals ja auch schon an die ersten Bands zu produzieren, wie Novalis oder Ougenweide und A.R. & Machines war sowas wie mein mein Musikliebhaberprojekt. Bis ich dann merkte, dass unter den Musikern regelrechte Grabenkämpfe stattfanden. „Was will denn der Beatmusiker bei uns Krautrockern? Der kommt aus den Sechzigern. Wir sind doch mittlerweile in den Siebzigern.“ Aber mir ging es um den Spaß und irgendwann merkte ich dann, dass es Sachen gibt, die einfach zur falschen Zeit erscheinen, denn wirklich verstanden wurde ich damals nicht. Na ja, ich habe mich dann ja anderen Dingen gewidmet und konnte niemals damit rechnen, dass aus dem Ausland auf einmal die Nachfrage wieder aufflammte. Die Box, die wir gemacht haben (The Art of German Psychedelic), hat bisher in Amerika mehr verkauft als in Europa.

MG: Auch wenn Du leztlich nicht zur See gefahren bist, hast Du in Deiner Musik immer den Bezug zur Seefahrt gehabt. Klingt da auch ein wenig Sehnsucht durch?

Achim: Na ja, Sehnsucht kannst du ja nur haben, wenn etwas unerfüllt bleibt. Ich dachte mir irgendwann, dass ich mal eben so nebenbei eine Autobiografie schreiben könnte. Na ja, war halt ne Schnapsidee und so kam ich dann auf die Idee, mich auf einem Frachtschiff einzumieten. Dann bist du einfach mal weg. Du kannst nicht vor Dir selbst weglaufen, musst dich ganz auf dich selbst konzentrieren. Erst auf dem Frachter, nur mit Gitarre und Laptop dabei, konnte ich dann die Fäden wieder aufnehmen. Dadurch, dass ich der einzige Passagier war, habe ich dann letztlich wirklich was geschafft. Da kamen dann Gedanken und Erinnerungen auf, die ich schon längst verdrängt hatte. Natürlich stand ich auch ein paar mal an der Reling und dachte ’so war das also damals für deinen alten Herrn‘. Du guckst auf den Horizont und siehst nur Wasser. Sonst gar nichts. Das war schon ein echtes Erlebnis und hat schon was mit mir gemacht.

MG: Du bist ja damals sowohl mit den Beatles, als auch mit den Stones getourt. Wie reflektierst Du das aus heutiger Sicht und bestehen noch Kontakte?

Achim: Es gibt manchmal schon komische Zufälle, wo dich die eigene Vergangenheit einholt. Ich bekam gestern von einem befreundeten Agenten eine E-Mail mit dem Hinweis, dass eine alte Bekannte demnächst in der deutschen Fernsehsendung “Kaum zu glauben“ auftreten wird Fernsehsendung auftritt. Die Dame war damals die Sekretärin der Beatles. Das ist über fünfzig Jahre her. Ansonsten hatte ich vor ein paar Jahren nochmal den Kontakt zu Paul McCartney, der hier in Hamburg ein Konzert gegeben hatte. Nach dem Konzert haben wir dann noch ein wenig geschnackt und ich sage: „Wollen wir nochmal über die Reeperbahn und uns St. Pauli anschauen? Hat sich viel verändert seit damals“ Da sagt er doch tatsächlich: „Ach, das ist nett von Dir. Aber weißt Du, ich bin mit meinem Privatjet hier, weil ich in meinem eigenen Bett immer am besten schlafe und fliege gleich wieder zurück nach London.“ Ich stand da und bekam den Mund nicht wieder zu. Das ist einfach eine andere Welt und ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich in den Vordergrund drängen.

Und mit den Stones war das damals so, dass wir aneinander geraten sind und die sauer auf uns waren, weil wir auch Chuck Berry Nummern spielten. Die eigentlichen Top Acts waren ja die Everly Brothers und Little Richard. Die Stones hatten damals gerade ihre erste Single draußen, eine Chuck Berry – Nummer die “Come on“ hieß und Peter Grant, der damalige Tourneeleiter, der später Manager von Led Zeppelin wurde, regelte es dann folgendermaßen: „Also, ihr spielt jetzt „Johnny B. Goode“ und ihr spielt „Bye, Bye Johnny“. Hauptsache ihr spielt nicht beide dasselbe und keinen Streit bitte.“ Das ist einfach nur köstlich und vergisst du dein ganzes Leben nicht.

MG: Deine Solokarriere begann dann ja mit dem Vertonen von Seemannsliedern, die zumindest die Nordlicher schon ewig im Ohr hatten. Du hast ihnen aber einen rockigen Sound verpasst und damit diese Lieder einem Publikum zugänglich gemacht, das sich vielleicht sonst nie mit den Shantys beschäftigt hätte. Was hat Dich auf diese Idee gebracht?

Achim: Ja, das war auch wieder einer dieser merkwürdigen Zufällen, wo ich mich frage, ob es wirklich einer war. Ich saß zuhause mit meiner Gitarre und grummelte irgendwas zusammen, bis ich plötzlich dachte, dass mir das irgendwie bekannt vorkommt, kam aber nicht darauf. Ich rief dann ein paar Leute an und irgendeiner fragte schließlich, ob ich ihn veralbern würde. Gerade ich solle das doch kennen. Das ist doch ein Shanty. Das war mir überhaupt nicht bewusst. Ich hatte diesen Schunkelsong aus irgendeinem Grund auf ein 4/4 Taktmass gebracht. Das klang frisch und wesentlich lebendiger und war ein wenig Chuck Berry-orientiert. Da ging mir dann ein Licht auf und ich verpasste dann so einigen alten Shantys diesen Groove und damit neues Leben. Ich fand das so spannend, dass ich mir sagte, dass musst du einfach machen. Ich habe mir natürlich auch ein paar Abfuhren damit eingehandelt bei den Plattenfirmen.

MG: Einer meiner absoluten Lieblingssongs von Dir ist die „Regenballade“, die auf dem gleichnamigen Album war. Mit dem Album „Heisse Scheibe“ bist Du dann einen anderen Weg gegangen. Wolltest Du nicht als „Märchenonkel der Nation“ abgestempelt werden?

Achim: Na ja, ich wollte mal wieder was anderes machen. Wir waren ja auch dabei uns geschäftlich mehr mit dem Ganzen zu beschäftigen. Dann kam noch dazu, dass vertraglich bedingt ein neues Album anstand und ich eigentlich noch gar nicht soweit war. „Heisse Scheibe“ nenne ich heute mein misslungenes Werk. Ich hatte mich von Dingen treiben lassen, die mit Musik gar nicht so viel zu tun hatten. Die Plattenfirma bestand halt auf einem neuen Album, aber Reichel war noch gar nicht soweit und wusste noch gar nicht was er eigentlich machen wollte. Die „Regenballade“ war damals genau meine Vorstellung dieses Crossover Prinzips. Klassische Texte mit Rockmusik zu verbinden und dadurch aussehen zu lassen, als wären sie in unserer heutigen Zeit geschrieben worden. Das wurde damals seitens der Presse nicht unbedingt nur wohlwollend aufgefasst, obwohl es diese Art der Vertonung von alten Texten in England ja schon lange gab. So hieß es z.B.: „Darf man unseren alten Dichtern solch eine Musik antun?“

MG: Machen wir mal einen kleinen Sprung zu Deinem größten Hit „Aloha Heja He“. Fluch oder Segen?

Achim: Mittlerweile ist das ein Segen. Der Song hat ja ein Eigenleben entwickelt, das hätte ich niemals für möglich gehalten. Er ist ja irgendwann mal bei einem anderen Projekt übrig geblieben und lag lange in der Schublade bzw. einem Umzugskarton, weil wir gerade dabei waren aufs Land zu ziehen. Ich entdeckte dann diese alte Bandspule mit der Melodie darauf und dachte mir dachte mir, mach einfach mal einen Text dazu, ein Song mehr auf deinem nächsten Album kann nicht schaden. Wenn du mit einem Song erfolgreich werden willst, schreibst du besser nichts von Konokoken oder Filzläusen, die ind er Seefahrt „Matrosen am Mast“ genannt werden.Plötzlich macht genau dieser Song das Rennen und als der schon längst abgefeiert war, entdeckte ich auf einmal, dass sich heute Jugendliche in Großraumdiskotheken zu dem Song auf den Boden setzen, Ruderbewegungen dazu machen und eine riesige Freude dabei haben. Wenn dir sowas gelingt, dann kann man sich darüber nur freuen.

MG: Du hast zwischendrin ein paar Alben gemacht, die für mein Empfinden ruhiger waren. Mit „Raureif“ hast Du Dich dann wieder mehr dem Rock zugewandt. Hat Dich der Rock nie losgelassen?

Achim: Die Rhythmusauffassung aus der Rockmusik ist die Basis von allem was ich mache. Ich habe meine Musik immer durch die Rockbrille gesehen. Sogar die Volkslieder habe ich so betrachtet. Auch wenn sie am Ende balladesk ausfielen. Es gibt ja auch elegantere Rockgrooves und muss nicht immer unbehauen und derb daher kommen. Außerdem ist „Raureif“ auch eine Rückkehr dazu eigene Texte zu schreiben.

MG: Mal zu etwas ganz anderem. Wenn ich Deine Vita verfolge, so fällt mir auf, dass Du Dich im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen, wie Maffay, Lindenberg oder auch Grönemeyer nie politisch geäußert hast und nie irgendwo angeeckt bist. Trennst Du ganz klar den privaten Achim Reichel von dem öffentlichen Achim Reichel?

Achim: Hm, schwierige Frage. Sagen wir es mal so, die von mir angerührten Projekte haben eher einen kulturpolitischen Auftrag. Ich finde, dass sich Künstler eher in kulturellen Zusammenhängen wohl fühlen, als in der Politik. Wenn ich damals auf Künstler wie Hannes Wader geschaut habe, kam bei mir immer der Gedanke auf, dass deren Lieder eigentlich gar keine Musik brauchen. Meine Revolution war eine Musikalische.

MG: Du bist jetzt seit fast 60 Jahren Musiker, gehst im Herbst wieder auf Tour. Was treibt Dich immer wieder neu an? Ich hatte nach der „Solo für euch Tour“ für mich irgendwie den Gedanken, dass es das letzte Mal war, dass ich Dich auf einer Bühne erleben darf. Was treibt Dich immer wieder an?

Achim: Na ja, also die „Solo für euch Tour“ war ja eine Storyteller-Tour. Meine musikalische Laufbahn aufgearbeitet und mit historisch gewordenen Bilddokumenten unterlegt. Das hatte ja in Deutschland noch niemand so richtig gemacht. Und, ja, stimmt schon. Ich hatte schon den Gedanken, das war es jetzt. Aber wie das dann manchmal so ist. Der Ruf nach dem „alten“ Achim Reichel hörte nicht auf. Ich habe dann hier und da noch ein paar Bänder entdeckt und so ist dann letztlich das Album „Raureif“ entstanden. Und nun ist ja die „Best Of“ auf dem Markt und ich dachte mir, dass dazu ja auch noch eine Tour passen würde. Das Album ist letztlich auch gleich mit Platz 17 gechartet. Na ja, insofern gibt es eigentlich nur noch eines, das ich gerne noch machen möchte: ich bin immer noch total begeistert von dem Konzert in der Elbphilharmonie. Alle haben mir vorher gesagt, dass ich mir nichts darauf einbilden sollte, dass das Konzert ausverkauft sei. Die Leute würden nur kommen, um die Atmosphäre zu erleben und sich die Elbphilharmonie anzuschauen. Wenn denen die Musik nicht gefällt, stehen die auf und gehen. Aber niemand ist vorher gegangen. Es gab am Ende minutenlange Ovationen. Wir haben das Konzert mitgeschnitten und ich möchte das sehr gerne noch fertig mischen und veröffentlichen. Und dann bin ich immer noch dabei die Autobiografie zu schreiben. Vielleicht schnappe ich mir dann ja auch meine Akustikgitarre und wir sehen uns bei irgendwelchen Lesungen wieder… kann auch passieren.

MG: Mit „Das Beste“ ist nun eine Werkschau erschienen. Ein Album dieser Art bietet ja auch immer die Möglichkeit unveröffentlichtes Material der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für meine Begriffe ist das aber hier ein wenig zu kurz gekommen. Hast Du nichts mehr oder ist das alles schon bei den Neueuflagen 2009 verarbeitet worden?

Achim: Da schlummert noch so einiges in meinem Archiv. Das wollten wir ursprünglich auch dazu packen. Aber dann wären es drei CDs geworden und wir wären in einem oberen Preissegment oberhalb gelandet, das es schwerer beim Handel hat. Hinzu kamen die sich innerhalb von 40 Jahren ständig ändernden Speichermedien und Abtastraten. Alles müsste erst konvertiert werden, zumal einiges auf Magnetbändern, anderes auf DAT oder Mini-Disc und wieder anderes auf Wechselfestplatten verschiedener Norm aufgenommen wurde. Das ist eine ungeheure Aufgabe. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Mal sehen.

MG: Achim, ich kann nicht mehr sagen als ein ganz dickes Danke. Es war mir eine absolute Freude mich mit Dir zu unterhalten. Ich glaube, wir könnten uns noch stundenlang weiter unterhalten und ich freue mich jetzt schon auf das Konzert im Herbst.

Achim: Alles gut, ich habe mich sehr gerne mit Dir unterhalten. Ich hab ein Gespür dafür, ob jemand ein Herz für Musik hat, bei Dir bin ich mir da ziemlich sicher, das findet man heute nicht mehr so häufig. Danke Dir!